Ist ein zweites Kind unterwegs, steht die Welt für das Erstgeborene kopf – plötzlich ist es konfrontiert mit einer Flut an Gefühlen, die es vorher vielleicht noch nicht kannte: Neid, Eiversucht, Ablehnung, Aggression. Erst mit der Zeit entwickeln Geschwister positive Gefühle wie Geschwisterliebe, Solidarität und Vertrauen. Wie fühlt sich ein Kind, wenn ein zweites kommt? Was können Eltern tun, um die Rivalität zu schlichten? Auf diese und andere Fragen möchte ich im Folgenden eingehen.
Geschwisterrivalität
Als ich auf die Welt kam, verlor meine damals zweijährige ältere Schwester komplett den Appetit und hörte über einen längeren Zeitraum auf zu essen. Das Eintreffen eines Geschwisterchens ist für Kinder ein einschneidendes Ereignis, welches oft mit negativen Gefühlen wie Eiversucht, Unverständnis und manchmal auch Gleichgültigkeit begleitet wird. Im Kampf um die Gunst der Eltern entsteht eine Geschwisterrivalität, weil das Erstgeborene nach der Geburt des zweiten Kindes nicht mehr im Mittelpunkt steht und sich damit abfinden muss, dass nun alles geteilt wird. Es tut sich schwer mitanzusehen, dass Mama ein anderes Kind auf dem Arm hält, mit ihm schmust und es tröstet. Bei gleichgeschlechtlichen Geschwistern mit geringem Altersabstand ist die Rivalität wohl am grössten, da die Konkurrenz hier offensichtlicher ist als bei Kindern, die sich mehr unterscheiden.
So war es bei uns
Unsere Charlotte war gerade mal eineinhalb Jahre alt, als ihre kleine Schwester auf die Welt kam. Beim ersten Krankenhausbesuch von Charlotte nach der Geburt hat sie mich erstmal ganz lang umarmt. Sie verstand die Situation noch nicht und wusste nicht, was passiert ist. Die negativen Gefühle waren bei ihr besonders stark, über ein Jahr lang schubste und schlug sie ihre kleine Schwester bei jeder Gelegenheit. Das ist ein natürliches Kräftemessen – das ältere Kind will seine Stärke zeigen und dem kleineren seinen Platz in der Familienhierarchie zuweisen. Bei uns half, dass sich Papa in dieser Zeit mehr um unsere ältere Tochter gekümmert hat. Seit da sind die beiden übrigens unzertrennlich.
Worauf Eltern achten müssen
Wird Familiennachwuchs erwartet, ist es die Aufgabe der Eltern, richtig zu kommunizieren, damit aus den ablehnenden Gefühlen keine feindseligen entstehen. Folgende Tipps kann ich allen Eltern in einer ähnlichen Situation empfehlen:
- Das Erstgeborene schon in der Schwangerschaft miteinzubeziehen hilft, das Kind auf den Familienzuwachs vorzubereiten. Wichtig ist, dass sich alle auf die Geburt freuen und das Kind somit etwas Positives erwartet.
- Das Kind darf sich nicht ausgeschlossen fühlen oder eine veränderte Zuneigung spüren. Eltern müssen besonders darauf achten, dass das Erstgeborene nicht zu kurz kommt.
- Dafür sorgen, dass der bestehende Rhythmus und Rituale eingehalten werden.
- Immer Schuld? Natürlich werden Eltern das Baby beschützen wollen. Wichtig ist aber zu schlichten und nicht immer nur zurechtzuweisen. Auch die kleinen lernen schnell und nutzen die Situation gerne aus, weinen z.B. schneller als nötig. Das kann zu Trotzreaktionen führen.
- Das ältere Kind in bestimmten Punkten miteinbeziehen in der Erziehung des jüngeren. Erklärt man dem jüngeren Kind beispielsweise, warum es kein Glas in die Hand nehmen soll, so kann man das ältere Kind bitten, es dem jüngeren auch nochmals zu erklären. Das mündet häufig in überaus amüsanten «Gesprächen» zwischen Baby und Kleinkind. Zudem bestärkt es das ältere Kind, dass es «etwas zu sagen» hat und dem kleineren etwas beibringen muss.
- Konkurrenz unter Geschwistern können Eltern beeinflussen, indem sie ihre Kinder als unterschiedliche Individuen akzeptieren und sie in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten möglichst nicht miteinander vergleichen, wie bei Swissmom berichtet wurde. Meine Strategie: nicht die gleichen Kleider, nicht die gleichen Spielsachen. Ähnlich, aber z.B. anders in der Farbe. Ich erinnere mich gerne daran, wie sehr mich gleiche Kleider bei mir und meiner Schwester als Kind geärgert haben. Jedes Kind ist anders!
Geschwister – unzertrennliche Rivalen
Obwohl die Konkurrenz gross ist, so ist bei uns zu Hause die Geschwisterliebe inzwischen doch viel Stärker als die Rivalität. Wenn Charlotte abends homöopathische Einschlafkügelchen bekommt, vergewissert sie sich immer, dass Vivienne auch welche kriegt. Trotz der vielen negativen Gefühle und des Frusts wachsen die Kinder zusammen auf, gewöhnen sich aneinander, fühlen sich stark miteinander, beschützen einander. So ist gerade unsere ältere Tochter viel selbstsicherer in einer Spielgruppe, wenn ihre kleine Schwester auch da ist.
Gleichbehandlung ist wichtig
Kürzlich stiess ich auf folgendes Zitat, welches ich an dieser Stelle gerne mit Euch teilen möchte:
Wenn man der unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so behält man fürs Leben jenes Eroberergefühl, jene Zuversicht des Erfolges, welche nicht selten wirklich den Erfolg nach sich zieht. (Sigmund Freud)
Bestimmt hat dieses Zitat einen gewissen Wahrheitsgehalt, jedoch ist es die Aufgabe der Eltern, Kinder nicht zu bevorzugen und gleich zu behandeln und Kinder daran wachsen zu lassen, dass sie lernen zu teilen und sich füreinander einsetzen. Die Möglichkeit, mit anderen Geschwistern aufwachsen zu können, welche von den Eltern gleich geliebt werden, ist für die Kindesentwicklung aus meiner Sicht wesentlich wichtiger als die Aussicht, einen erfolgreichen «Eroberer» zu erziehen, welcher sich zwar der Mutterliebe sicher sein kann, aber nie wahre geschwisterliche Solidarität erleben wird. Der wohl berühmteste Eroberer, Napoleon, war übrigens ein Einzelkind und somit gewiss der unbestrittene Liebling seiner Mutter. Ob seine Lebensbilanz im Nachhinein als Erfolg betitelt werden kann, lasse ich hier gerne offen.
Herzlichst,
YoungMum